Die Hamburger Grünen streben an, die Stadt bis 2035 klimaneutral zu machen, während der Zukunftsentscheid das Ziel bis 2040 fordert. Sollten 100.000 Stimmen gesammelt werden, könnte es zu einer Abstimmung kommen – jedoch ohne solide wissenschaftliche Zahlen, die dieses Ziel stützen. Studien weisen darauf hin, dass selbst die Klimaneutralität bis 2045 bereits äußerst ambitioniert ist und frühere Zeitpläne unrealistisch erscheinen lassen.
Der Zukunftsentscheid setzt darauf, durch eine Bürgerinitiative, die 100.000 Unterschriften sammeln muss, eine Abstimmung darüber herbeizuführen, ob Hamburg bereits bis 2040 klimaneutral werden soll. Die Hamburger Grünen unterstützen diesen Vorstoß und gehen sogar noch weiter: Sie fordern, dass Hamburg schon 2035 klimaneutral wird. Dieses Ziel liegt zehn Jahre vor dem offiziellen Plan, den der Senat für 2045 ausgegeben hat. Der Hamburger Senat sieht diesen Forderungen jedoch mit Skepsis entgegen und betont, dass es keine wissenschaftlichen Studien gibt, die belegen, dass eine so frühe Klimaneutralität überhaupt realistisch erreichbar ist.
Auf Nachfrage stellt der Senat klar, dass ihm keine anderen Erkenntnisse vorliegen, die eine frühere Klimaneutralität als 2045 stützen könnten. Weder von unabhängigen Forschungseinrichtungen noch aus öffentlichen oder privaten Gutachten gibt es bislang belastbare Studien, die das Ziel einer Klimaneutralität bis 2035 oder 2040 als machbar einstufen. Die einzige fundierte Studie, die im Auftrag des Senats durchgeführt wurde – eine Kooperation zwischen der Hamburg Institut Consulting GmbH, dem Öko-Institut e. V. und der Prognos AG –, kommt zu dem Ergebnis, dass bereits die Klimaneutralität bis 2045 als „sehr ehrgeizig“ bewertet werden muss. Diese Einschätzung basiert auf den erheblichen technischen, infrastrukturellen und wirtschaftlichen Veränderungen, die notwendig sind, um dieses Ziel zu erreichen.
Auch eine aktuelle Studie der OECD aus dem Jahr 2024, die auf die klimaneutrale Transformation der Hamburger Wirtschaft fokussiert, zeigt, dass die Hamburger Wirtschaft bis 2040 klimaneutral werden könnte. Doch diese Analyse bezieht sich ausschließlich auf wirtschaftliche Rahmenbedingungen und ist keine umfassende Machbarkeitsstudie für die gesamte Stadt. Sie berücksichtigt weder den breiten Infrastrukturausbau noch die erforderlichen Maßnahmen in Bereichen wie Energieversorgung, Verkehr und Wohnungsbau, die für eine vollständige Klimaneutralität ebenfalls notwendig sind.
Die Herausforderungen, denen Hamburg auf dem Weg zur Klimaneutralität gegenübersteht, sind immens. Im Jahr 2023 betrug der Anteil erneuerbarer Energien an der deutschen Stromproduktion nur 51,8 %, weit entfernt von den 80 %, die im Hamburger Klimaplan für 2030 angestrebt werden. Für einen erfolgreichen Kohleausstieg, der bundesweit bis 2030 erfolgen soll, sind zudem gewaltige strukturelle Veränderungen notwendig, die bislang nur schleppend vorankommen. In Hamburg sollen bis 2030 rund 63.000 Wärmepumpen installiert werden, bis 2045 sogar 159.000. Derzeit sind jedoch nur rund 6.300 Wärmepumpen in Betrieb, was deutlich macht, dass der Ausbau der notwendigen Infrastruktur massiv hinter den Plänen zurückliegt.
Auch im Bereich der Fernwärmenetze zeigt sich die Kluft zwischen Ziel und Realität. Laut dem Hamburgischen Klimaschutzgesetz müssen die städtischen Wärmenetze bis 2030 zu 50 % mit erneuerbarer Energie oder unvermeidbarer Abwärme betrieben werden. Der aktuelle Stand liegt jedoch nur bei etwa 30 %, was aufzeigt, wie groß die Anstrengungen sein müssen, um diese Vorgaben zu erfüllen.
Das Gesetz zum Kohleausstieg sieht vor, dass Deutschland bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung aussteigt. Dennoch gibt es Überprüfungen in den Jahren 2026, 2029 und 2032, um zu entscheiden, ob der Kohleausstieg bereits bis 2035 umgesetzt werden kann. Diese Flexibilität in der Gesetzgebung zeigt, dass selbst der gesetzlich verankerte Kohleausstieg an Bedingungen geknüpft ist, die bisher noch nicht vollständig geklärt sind.
Die Forderung nach einer früheren Klimaneutralität mag gut gemeint sein, doch ohne wissenschaftlich fundierte Grundlagen droht sie mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Sollten Hamburgs Klimaziele durch unrealistische Zeitvorgaben verfehlt werden, könnte die Stadt rechtlich zur Verantwortung gezogen werden und mit erheblichen finanziellen Belastungen konfrontiert sein. Hamburgs Klimapolitik sollte daher auf fundierten Fakten basieren und einen machbaren Weg zur Klimaneutralität einschlagen, anstatt sich von Wünschen und ehrgeizigen, aber nicht belegten Zielen leiten zu lassen.