Senat setzt zum Teil auf potenziell invasive und als invasiv bekannte Baumarten
In Hamburg werden immer öfter im Auftrag der Stadt Bäume aus anderen Klimazonen (Neophyten) gepflanzt, die teilweise invasiv oder potenziell invasiv sind.
Das ergab meine Anfrage an den Senat 22/3248.
Ich habe Sie bereits letztes Jahr darüber informiert: *klick*
Lesen Sie hier, wie der Senat zu seinen Entscheidungen kommt und was meine Einschätzung ist.
Für Empörung muss dies jedoch nicht zwangläufig sorgen. Das Thema ist komplex. Zwar können einige Arten invasiv sein und damit andere Baumarten, Insekten, Kleintiere, Spinnentiere und Vögel bedrohen. Zugleich können Bäume aus anderen Klimazonen sehr nützlich sein und zumindest teilweise die Wohlfahrtsaufgaben übernehmen, die heimische oder europäische Arten aufgrund klimawandelbedingter steigender Temperaturen, Wassermangel, veränderter Vegetationszeiträume und dadurch auch verändertem Schädlingsaufkommen (Bakterien, Insekten wie Borkenkäfer, Pilzerkrankungen) nicht mehr bewältigen können.
An bestimmten Stellen können außereuropäische Baumarten, z. B. nordamerikanische, als bereits klimaangepasste Bäume, sinnvoll sein. Dort, wo heimische Bäume durch die Klimaveränderungen absterben, können wir so wenigstens die Wirkungen von Wasserspeicherung, Verdunstung, Staubfilterung, Schattenwurf und Tier- wie Insektenheimat nutzen.
Auch wenn die Biodiversität bei einigen gebietsfremden Sorten weniger ausgeprägt ist als bei unseren gewohnten Hamburger Bäumen, gilt hier: Besser einen Baum als keinen Baum. Laut Senat hat zudem z. B. die Robinie, die sich zwar potenziell invasiv verhält, paradiesische Auswirkungen auf Insekten. Invasiv, potenziell invasiv oder nicht-heimisch bzw. nicht-europäisch ist also kein Totschlagargument.
Hamburg hält sich an Verbote, die jedoch nicht streng sind
Es gibt eine Verordnung zum Umgang mit einigen invasiven Arten der Europäischen Union, die 2015 in Kraft trat. Man nennt sie auch einfach Unionsliste. Sie umfasst 66 Pflanzen- und Tierarten, die keinesfalls in EU-Mitgliedsstaaten angepflanzt werden dürfen. 38 von diesen Arten treten, von Einzelfunden bis etabliert, auch in Deutschland auf. Für Hamburg ist hier exemplarisch der Götterbaum (Ailanthus altissima) zu nennen. Dieser wurde zu früheren Zeiten auch als Straßenbaum gepflanzt. Der Bestand ist laut Senat bei 61 Exemplaren (inkl. einem Baum dieser Gattung, aber unbekannter Art) und wird nicht mehr ausgebaut. Maßnahmen gegen diese Straßenbäume werden nicht ergriffen, da sie nicht notwendig seien.
Die aus Nord-Amerika stammende Rot-Eiche (Quercus rubra), die durchaus andere Bäume verdrängen könnte und deren Laub die Beschaffenheit des Bodens für andere Lebewesen nachteilig verändert, wird in Hamburg jedoch gepflanzt, auch aktuell. Diese steht nicht auf der Unionsliste, wenngleich sie von vielen Fachleuten als invasiv angesehen wird. Der Senat begründet die Anpflanzung dieser Art wie auch anderer potenziell invasiver oder invasiver Arten damit, dass die negativen Aspekte bei Stadtbäumen zu vernachlässigen sind. Das Laub wird bei einem Stadtbaum sowieso entfernt und zur natürlichen Ausbreitung fehlt der Art an der Straße schlicht der Lebensraum. Dafür könne die Rot-Eiche dann an Standorten genutzt werden, deren Bedingungen für heimische Bäume nicht ideal sind.
Zitat Senat: „Des Weiteren werden aus verschiedenen Gründen auch gezielt nicht in Europa heimische Zierpflanzen, Sträucher und Bäume in Hamburg angepflanzt. Beispielhaft zu nennen wären didaktische Gründe zur Präsentation außereuropäischer Flora im Botanischen Garten in Klein Flottbek oder gartenkünstlerische, gestalterische und gartendenkmalpflegerische Gründe, um in Parkanlagen (zum Beispiel Planten un Blomen) der Bevölkerung möglichst lange Blühaspekte sowie exotische Gehölze bieten zu können.“
Eine Liste der gesetzlichen Grundlagen, welche Arten wo und von wem angepflanzt werden, sind hier zu finden, u. a. das Bundesnaturschutzgesetz, das Sortenschutzgesetz oder die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie: https://neobiota.bfn.de/grundlagen/rechtlicher-rahmen.html
Wer sich einmal mit der EU-Liste oder dem Paragraphen 40 des Naturschutzgesetzesbefasst, sieht die Zahnlosigkeit dieser gesetzlichen Grundlagen. Die Behörden können sich zahlreiche Baumsorten genehmigen lassen, die nicht heimisch und/oder als invasiv bekannt sind. Die EU-Liste ist hingegen sehr kurz.
So schreibt der Nabu auf https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/artenschutz/invasive-arten/unionsliste.html:
„Allein in Deutschland sind mindestens 168 Tier- und Pflanzenarten bekannt, die nachweislich negative Auswirkungen haben – oder haben könnten. So viele Arten listet das Bundesamt für Naturschutz in seinem Managementhandbuch für invasive Arten auf. In der gesamten EU gehen Experten sogar von rund 12.000 gebietsfremden Arten aus, von denen etwa 15 Prozent als invasiv eingestuft werden, und damit potenziell Schäden ausrichten.“
Auch die Warnliste (umgangssprachlich „Schwarze Liste“) des Bundesamts für Naturschutz ist relativ kurz: https://neobiota.bfn.de/invasivitaetsbewertung/gefaesspflanzen.html
Biodiversität: Senat mit ganzheitlichem Ansatz
Kritik, einzelne „Klimabäume“ würden eine geringere Biodiversität ermöglichen als heimische Arten, lässt der Senat nicht gelten. Vielmehr sei nicht nur auf den Einzelbaum zu schauen, sondern „der Gesamtbaumbestand zu betrachten und als Ziel ein breites Gattungs-, Arten- und ggf. Sortenspektrum anzustreben.“ Zudem wird auf die hohe Anzahl von Stiel-Eichen (Quercus robur) verwiesen (mit Stand 2020: 41.658 Stück), „die mit Blick auf Fragen der Biodiversität eine Spitzenposition“ einnehmen.
Woran orientiert sich der Senat? Wie werden klimawandelbständige Bäume ausgewählt?
„Fachliche Grundlagen sind neben den eigenen Hamburger Erfahrungen unter anderem bundesweite Empfehlungen der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL) und der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz (GALK).“ Die in Hamburg gepflanzten Straßenbäume stammen übrigens in der Regel aus deutschem Handel.
Wer entscheidet über welchen Straßenbaum in Hamburg?
„Die Auswahl der zu pflanzenden Straßenbäume treffen die Bezirke unter Berücksichtigung der
jeweiligen örtlichen Situation unter Einbeziehung der fachlich zuständigen Gremien der
Bezirksversammlung.“
Bei Ersatzpflanzungen gilt folgendes:
„Die Entscheidung über die Auswahl der Ersatzpflanzungen erfolgt unter Beachtung des
„Leitbaumprinzips“ im Sinne der Nachpflanzung der in der Straße vorhandenen Baumart. Bei Problemen der vorhandenen Baumart bedingt durch Krankheiten, Schädlinge und/oder Anfälligkeiten gegen zum Beispiel anhaltende Trockenheit in den Sommermonaten erfolgt ein Wechsel auf Baumarten, die in der Lage sind, sich diesen Gegebenheiten anzupassen.“
Welche Baumarten werden als Straßenbaum in Hamburg verwendet?
– Aktuelle Liste von 2015 bis 2019 nach Baumart, Bezirk und Jahr: Anlage der Drs. 22/3248
– Artenbestand der Straßenbäume Anfang 2020 in Hamburg: Anlage der Drs. 22/2494
Welche potenziell invasiven und invasiven Straßenbaumarten gibt es in Hamburg?
Insgesamt stehen 8.701 Straßenbäume invasiver oder potenziell invasiver Arten in Hamburg. Laut Drs. 22/2494 sind folgende Top-5 invasive oder potenziell invasive Arten am häufigsten in Hamburgs Straßenbaumbestand vertreten (Bewertung nach dem Bundesministerium für Naturschutz):
– Amerikanische Rot-Eiche mit 3892 Exemplaren
– Scheinakazie mit 3649 Exemplaren
– Kanadische Pappel mit 426 Exemplaren
– Rot-Ahorn mit 402 Exemplaren
– Hahnensporn-Weißdorn mit 228 Exemplaren
Welche Baumarten werden in nächster Zukunft in Hamburg gepflanzt?
– die Anlage zu Drs. 22/2160 listet auch neue „Klimabaumsorten“ der einzelnen Bezirke auf.
Was können Privatleute tun?
Bitte kaufen Sie keine Pflanzen aus zweifelhaften Quellen, z. B. über das Internet aus dem außereuropäischen Ausland. Es sollten nur heimische Gewächse, standortgerecht, angepflanzt werden. Diverse Neophyten könnten sich sonst in Windeseile in Ihrer Nachbarschaft ansiedeln und andere Gewächse verdrängen, sogar Insekten, Kleintiere und Vögel stark benachteiligen. Welche Bäume, Hecken und Blumen sich nicht nur für das Auge, sondern auch die Tierwelt anbieten, erfahren Sie bspw. vom Nabu hier: https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/tiere/voegel/01206.html
Zudem können Sie sich in Ihrer Bezirksversammlung und den zugehörigen Ausschüssen einbringen – Eingaben von Bürgern/-innen sind immer möglich, Sie müssen dazu kein gewählter Vertreter sein.
Fazit
Der Senat betont, dass die Hauptaufmerksamkeit der Pflege der bestehenden Bäume gilt und größtenteils heimische Baumarten gepflanzt werden. Doch zugleich werden häufig Neophyten als Ersatzpflanzungen gewählt, deren Anteil zunimmt. Ich denke, dass wir europäische Arten bevorzugen sollten, da diese zumeist eine bessere Biodiversität aufweisen.
Wenn diese nicht pflanzbar sind, weil sie dem spezifischen Standort nicht gerecht werden, können aus meiner Sicht jedoch auch gebietsfremde Arten gewählt werden. Aber nur in diesen begründeten Fällen.
Dabei ist jedoch streng darauf zu achten, dass sie an den jeweiligen Standorten keinen Schaden anrichten können. Eine Robinie als Parkbaum ist durch die Stickstoffanreicherung des Bodens anders zu bewerten als ein relativ isolierter Baum an einer vielbefahrenen Straße, wo die Stickstoffanreicherung kaum Einfluss auf andere Pflanzen hat. Die größte Aufmerksamkeit sollte jedoch die 1-zu-1-Nachpflanzung aller gefällten Bäume in Hamburg genießen.
Meine Anfragen zum Thema:
Drs. 22/3248 vom 11.02.21 –> https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/74526/pflanzt_der_senat_weiterhin_invasive_baumarten.pdf
Drs. 22/2494 vom 07.12.20 –> https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/73721/senat_setzt_bei_strassenbaeumen_auf_aussereuropaeische_arten_diese_neophyten_koennen_zum_problem_werden_intensivere_bewaesserung_von_heimischen_arte.pdf
Drs. 22/2160 vom 12.11.20 –> https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/73365/auswahl_der_baumsorten_biodiversitaet_und_temperaturvertraeglichkeit_sollten_entscheidend_sein.pdf